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Was der „Chart of Doom“ lehrt

Wellenreiter-Kolumne vom 22. Februar 2014

Selten wurde ein Chart so häufig gemailt und diskutiert wie der Verlaufsvergleich mit 1929. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Chart ein so großes Medienecho in Deutschland ausgelöst hat. Alte Vorbehalte scheinen durch, von denen man meint, dass sie längst ad acta gelegt wurden. Hat doch die Chartanalyse, deren Ursprung auf das Erkennen von Trends zurückgeht („Charles Dow“), längst ihren Platz an den Händler-Monitoren und bei vielen Privatinvestoren erobert.

Der Chart, von dem hier die Rede ist, wird als „Chart of Doom“ bezeichnet. Das Preismuster der 1920er Jahre wird mit dem aktuellen Muster verglichen. Die Verläufe erscheinen nahezu deckungsgleich.
 

 

In einem Handelsblatt-Artikel wurde ein Chart, der ein solches Muster darstellt, als „raffinierter Trick“ bezeichnet (trotz korrekt ausgewiesener Preisskalen rechts und links). Anleger würden mit diesem Chart „manipuliert“. Die Forderung: Der Chart dürfe nur mit einer prozentualen Normierung gezeigt werden. Der folgende Chart entspricht in etwa dieser Forderung.

 

                                              

Ziel eines Verlaufsvergleichs ist es, übereinstimmende Preismuster zu finden. Man ahnt mit diesem Chartbild zwar, dass ein paralleles Preismuster existieren könnte. Aber sicher ist man erst, wenn man die Verläufe übereinander legt. Die Erkenntnisse, die man in diesem speziellen Fall gewinnen möchte, lauten: Wie genau läuft die Phase der Top-Bildung ab? Ist ein niedrigeres Hoch erkennbar? Kam es vor dem Hoch zu einen kräftigen, möglicherweise erschöpfenden Aufwärtspush? Wie viele Tage liegen zwischen dem ersten und zweiten (niedrigerem) Hoch? Zwischen dem primären und sekundären Hoch der Crashes der Jahr 1929 und 1987 lagen jeweils 38 Tage.

Oder man denke an klassische Preismuster wie Schulter-Kopf-Schulter-Formationen, Flaggen, Keile oder Dreiecke. Derartige Preismuster-Analogien sind wesentlich besser zu entdecken, wenn man die Verläufe übereinander legt.

Trading-Programme automatisieren die Charttechnik weitgehend. Das Erkennen von Preismuster-Analogien bleibt weitgehend Handarbeit, ausgeführt von experimentierfreudigen Gesellen, die dafür ihre Tabellenkalkulationen und Datenbanken strapazieren. Ich zähle mich dazu. Uns ist klar, dass Chartanalogien selten Volltreffer sind. Uns ist auch klar, dass von Crash-Vergleichen eine gewisse Faszination ausgeht. Aber: Es kommt nicht nur auf den Chart an, sondern auch auf dessen Interpretation. Diejenigen, die über diese Analogie geschrieben haben, haben das meist mit Vorsicht getan. Von einem „raffinierten Trick“, um Investoren zum Verkauf zu bewegen, kann nicht die Rede sein.

Übrigens: Auch bei einer prozentualen Normierung stellt sich die Frage nach dem exakten Anfangszeitpunkt. Je nachdem, welchen Zeitpunkt man wählt, erreicht die prozentuale Divergenz unterschiedliche Werte. Es kommt stets auf den Standpunkt an.

Es ist bei weitem einfacher, Analogien zu erkennen, wenn man Verlaufsmuster übereinander legt. Das ist nun wirklich gängige Arbeitspraxis. Ein Beispiel: In unserer Wochenend-Kolumne vom 15. Januar 2014 wiesen wir auf die Korrelation zwischen dem Verlauf der Aktienindizes der BRIC-Staaten einerseits und dem Rohstoff-Index andererseits hin.

 

 

Die Skalierung ist prozentual korrekt, aber das ist Nebensache. Viel wichtiger ist doch, dass eine positive Korrelation zwischen beiden Verläufen zu erkennen ist. Unsere damalige Aussage: „Ohne ein Comeback der Aktienindizes der BRIC-Staaten erscheint ein Ende der Rohstoffbaisse nicht möglich.“ Das sind die Erkenntnisse, die man aus solchen Vergleichen gewinnen möchte. 

Die Sache mit dem „Chart of Doom“ ist auch deshalb interessant, weil Tom McClellan den Verlaufsvergleich bereits am 27. November 2013 in seiner Kolumne abbildete und kommentierte. Damals sah der Chart so aus. 
 


Kaum jemand hätte erwartet, dass sich der Verlauf so fortsetzen würde, wie er es dann tatsächlich tat (folgender Chart). 

McClellan spricht korrekterweise von einer „Price Pattern Analogy“. Allein deshalb kommen in den USA keine Trick- oder Manipulationsdiskussionen auf, weil es um die Betrachtung der Muster („Pattern“) geht. Und vielleicht auch, weil die Chartanalyse in den USA (25% aller US-Amerikaner sind Aktionäre) eine stärkere Verankerung erfahren hat als in Deutschland.

Die Bedeutung eines niedrigeren Hochs ist wichtig. Nicht nur die Crashes von 1929 und 1987, sondern viele weitere wichtige starke Abwärtsbewegungen ergaben sich erst nach Ausbildung eines niedrigeren Hochpunktes. Eine Top-Bildung benötigt Zeit. In dem Moment, in dem die Bullen sahen, dass sie die Märkte nicht mehr auf ein neues Hoch treiben konnten, gaben sie auf: Die Abwärtsbewegung setzte ein. 

Wie geht es nun weiter? Der S&P 500 hat in der kommenden Woche die Chance auf ein neues Allzeithoch. Würde der Index diese Chance nutzen, hätte die „Chart of Doom“-Analogie beträchtlich an Wahrscheinlichkeit verloren. Zwar könnte der Dow Jones Index dann immer noch ein niedrigeres Hoch markieren. Aber dann läge eine Divergenz vor, die es im Jahr 1987 nicht gab. Damals schafften sowohl der S&P 500 als auch der Dow Jones Index keine neuen Hochs mehr.


Weiter vorn schrieben wir, dass von Crash-Vergleichen eine gewisse Faszination ausgeht. Deshalb kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen, noch zwei aktuelle crashbezogene Eigentümlichkeiten zu erwähnen. Einmal verweisen wir auf das Extrem im SKEW-Index (Kolumne vom 1. Januar: http://www.wellenreiter-invest.de/node/227). Dieser von der Chicago Board of Exchange (CBOE) veröffentlichte Index misst das Risiko einer extremen Bewegung im S&P 500. Der Index zeigt derzeit ein hohes Risiko einer deutlichen Abwärtsbewegung an.


Zum zweiten waren Kinofilme mit dem Titel „Wall-Street“ bisher verlässliche Indikatoren für Crashes bzw. Abwärtsbewegungen. Zitat aus unserem Jahresausblick 2014:


„Wenn Filme mit dem Titel „Wall Street“ in die Kinos kommen, dann stand der Aktienmarkt bereits zweimal vor einer bemerkenswerten Schwächeperiode. Oliver Stones Film „Wall Street mit Michael Douglas startete 1987 kurz vor dem großen Crash in den Kinos. Eine Fortsetzung des Films mit Michael Douglas in der Hauptrolle mit dem Titel „Wall Street: Geld schläft nicht“ hatte seine Welturaufführung im Mai 2010. Damals sorgte der „Flash Crash“ in einem schwachen Mai-2010-Umfeld für Schlagzeilen.

 

Der neueste Film über Wall Street wird von Martin Scorsese umgesetzt und heißt „The Wolf of Wall Street“. In der Hauptrolle ist Leonardo Di Caprio zu sehen. Der Film zeigt die Gier nach dem schnellen Aufstieg und reflektiert den Schwarzen Montag 1987. Kinostart USA: 25.12.2013, Kinostart Deutschland: 16.01.2014.“


Fazit: Es ist eindeutig überzogen, den Researchern, die Preismuster-Analogien erstellen, unlautere Absichten zu unterstellen. Mit Hilfe von Chartanalogien lassen sich Preismuster und Korrelationen herausarbeiten. Um Preismuster erkennen zu können, legt man sie am besten übereinander. Das ist Teil der Arbeit und gängige Praxis. Zudem schreibt der Researcher in der Regel ein paar erläuternde Worte dazu.


Die jüngste Stärke des S&P 500, der in der abgelaufenen Woche praktisch sein Allzeithoch erreichte, ist das stärkste Argument gegen eine Fortsetzung der Crash-Analogie. Aktuell liegt unser Augenmerk auf dem Handelsvolumen, das an guten Tagen schwach bleibt, an Negativtagen aber vergleichsweise hoch ist. Dies ist kein gutes Zeichen. Insbesondere dann nicht, falls der S&P 500 es nicht schaffen sollte, in den kommenden Tagen ein neues Allzeithoch zu erzielen. Gemäß unserem Jahresausblick erwarten wir ein schwächeres erstes Halbjahr 2014. Im Rahmen einer solchen Bewegung ergeben sich naturgemäß einige schärfere Abwärtstage.


Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest


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